Komitee 10
Jugoslawien 1990
Ein Land vor dem Abgrund
(HESC)
Jugoslawien 1990
Ein Land vor dem Abgrund
(HESC)
Chairs: Maximilian Janka und Valeriya Basarieva
Jugoslawien: von serbokroatisch Jugoslavija (jug = Süden) abgeleitet vereint das Königreich nach Jahrhunderten multilateraler Fremdherrschaft zum ersten Mal in der Geschichte alle Südslawen zu einer territorialen und politischen Einheit.
In der Zwischenkriegszeit prägen ethnische Spannungen und politische Instabilität die autoritär beherrschte Monarchie, und sie hält nur bis 1941 stand, bevor sie zerstückelt unter die Gewalt der Achsenmächte fällt. Nach Jahren des Widerstands durch die Partisanenbewegung unter Josip Broz Tito keimt schließlich wieder die Aussicht auf einen vereinigten Balkan. 1945 münden die Bestrebungen in der Sozialistischen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien.
In der Vision Titos ist der Vielvölkerstaat reine Synergie: Für die sechs Teilrepubliken und die zwei autonomen Provinzen Kosovo und Vojvodina ist das Bündnis
trotz zweier verschiedener Alphabete, vier unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und Sprachen, und ganzen sechs Nationalitäten mit weit mehr nationalen Minderheiten, unentbehrlich, denn „[O]hne ein starkes Jugoslawien gibt es kein starkes und glückliches Kroatien, kein starkes und glückliches Serbien, Slowenien, Mazedonien, Montenegro oder Bosnien und Herzegowina!” Diese Einstellung ist jahrzehntelang Leitlinie und Warnung zugleich.
Spätestens in den 1980er Jahren wird klar: dieses staatliche Konzept ist leichter propagiert als umgesetzt. Jugoslawische Wirtschaftsindikatoren stürzen ab und zeigen zweistellige Inflation, explodierende Auslandsschulden und Massenarbeitslosigkeit. Ganze Industrien kollabieren. Durch Ungleichverteilung wächst zwischen den Teilrepubliken Neid und Misstrauen, besonders zwischen wirtschaftlich stärkeren wie Slowenien und Kroatien und ärmeren südlichen Regionen. Alte und junge nationalistische Autonomiebestrebungen erwachen. Serbische Funktionäre mobilisieren mit kriegerischen Reden, im Kosovo herrscht durch Kollisionen von ethnischen Gruppen und Streiks Ausnahmezustand und den teilautonomen Provinzen wird immer mehr Selbstbestimmung aberkannt. In Kroatien kehren historische Symbole und Debatten in den öffentlichen Raum zurück. Slowenien fordert weniger föderale Kontrolle. Die Tage des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, der führenden Regierungspartei, sind laut Prognosen gezählt.
Die Staaten des Sicherheitsrats befürchten ein blutiges Inferno mitten in Europa. Deshalb wird die internationale Gemeinschaft am 19. Februar 1990 zu einer Krisensitzung einberufen. Eine Frage liegt offen im Raum: Zerfall oder Rettung?